Im Zuge der Coronapandemie ergriff das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Maßnahmen, um die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit notwendigen Arzneimitteln sicherzustellen, vor allem denen, die sich in Quarantäne oder häuslicher Isolation befinden sowie chronisch Kranker. Hierzu wurde die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung (SARS-CoV-2-AMVersVO) erlassen, welche am 22. April 2020 in Kraft getreten ist [1].
Um die Arzt- und Apothekenkontakte auf die Nötigsten zu verringern, somit das Infektionsrisiko zu minimieren und die Patienten und Patientinnen trotzdem mit den notwendigen Arzneimitteln versorgen zu können, wurden den Apotheken Möglichkeiten eingeräumt, von den Abgaberegeln des Rahmenvertrags über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 SGB V abzuweichen. Nach § 1 Absatz 3 der SARS-CoV-2-AMVersVO dürfen Apotheken, wenn Rabattarzneimittel oder preisgünstige Arzneimittel in der Apotheke nicht vorrätig sind, von der Abgaberangfolge des Rahmenvertrags abweichen und wirkstoffgleiche, vorrätige Arzneimittel abgeben. Auch bei einer Nichtlieferbarkeit des abzugebenden Arzneimittels dürfen lieferbare, wirkstoffgleiche Arzneimittel abgegeben werden. Zusätzlich wurde das Abweichen u. a. von der verordneten Packungsgröße und -anzahl sowie das Abweichen von der Wirkstärke gestattet.
Alle genannten Abweichungen der Abgaberegeln nach Rahmenvertrag sind gemäß Vereinbarung zur technischen Umsetzung der SARS-CoV-2-AMVersVO mit dem Sonderkennzeichen „Abweichende Abgabe“ 02567024 und dem Faktor 5 oder 6 („Dringender Fall“) auf dem Arzneiverordnungsblatt zu dokumentieren [2]. Die Dokumentation des „Dringenden Falles“ ist seither folglich nicht mehr allein den Fällen der Akutversorgung oder des apothekerlichen Notdienstes vorbehalten, sondern wurde auf die oben genannten Abgabesituationen inkl. Nichtverfügbarkeiten ausgeweitet.
Das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut e. V. (DAPI) hat eine Auswertung der Abgaben von Fertigarzneimitteln zulasten der GKV mit dem Sonderkennzeichen „Abweichende Abgabe“ 02567024 mit den Hintergründen „Nichtverfügbarkeit eines Rabattarzneimittels“ sowie „Dringender Fall“ durchgeführt. Dabei wurden die Hintergründe 2 und 4 zusammen als „Nichtverfügbarkeit“ und die Hintergründe 5 und 6 als „Dringende Fälle“ ausgewertet (zu den Hintergründen siehe Infobox). Die Auswertung zeigt den monatlichen Verlauf der Anzahl der Packungen ab Juli 2019, dem Inkrafttreten der neuen Fassung des Rahmenvertrags, bis zum Dezember 2020. (siehe Abbildung)
Von Juli 2019 bis März 2020 stieg die Anzahl der abgerechneten Packungen mit Sonderkennzeichen "abweichende Abgabe" und dem Hintergrund „Nichtverfügbarkeit“ von 1,77 Mio. auf 2,96 Mio. Packungen pro Monat (+67 %). Ab April 2020, also mit Einführung der SARS-CoV-2-AMVersVO, nahm die Anzahl an Packungen mit dokumentierten „Nichtverfügbarkeiten“ deutlich auf 0,69 Mio. Packungen im Dezember 2020 ab (-77 % im Vergleich zum März 2020). (siehe Abbildung)
Während die Anzahl der abgegebenen Packungen mit Sonderkennzeichen "Abweichende Abgabe" und dem Hintergrund "Dringender Fall" von Juli 2019 (0,76 Mio. Packungen) bis Februar 2020 (0,81 Mio. Packungen) relativ konstant war, stiegen sie danach auf 1,7 Mio. Packungen im Juli 2020 an (+125 % im Vergleich zum Juli 2019). Bis Dezember 2020 hielt sich die Anzahl relativ konstant auf dem im Vergleich zum Zeitraum vor März 2020 erhöhten Niveau. (siehe Abbildung)
Der Verlauf der „Dringenden Fälle“ weist einen entgegengesetzten Verlauf zu den „Nichtverfügbarkeiten“ auf. Schon im März, als nationale Restriktionen im öffentlichen und sozialen Leben in Deutschland als Pandemie-eindämmende Maßnahmen eingeführt wurden, wurden in den Apotheken vermehrt „Dringenden Fälle“ geltend gemacht. Mit Einführung der SARS-CoV-2-AMVersVO im April 2020 stieg die Anzahl aufgrund der o. g. erweiterten Anwendungsfälle weiter an. In den Apotheken wurde reger Gebrauch von den durch die SARS-CoV-2-AMVersVO geschaffenen Möglichkeiten gemacht, von den Abgaberegeln nach Rahmenvertrag abzuweichen. Die dokumentierten „Nichtverfügbarkeiten“ fielen hingegen ab April 2020 stark ab. Dies ist sicherlich teilweise dadurch bedingt, dass diese durch die Vorgaben der SARS-CoV-2-AMVersVO in den „Dringenden Fällen“ aufgingen. Wie sich die Nichtverfügbarkeiten von Arzneimitteln im Apothekenalltag oder gar die Lieferengpassproblematik entwickelt hat, lässt sich anhand der Zahlen allerdings nicht abschätzen. (siehe Abbildung)
Infobox:
Hintergründe beim Sonderkennzeichen „Abweichende Abgabe“ laut Technischer Anlage 1 zur Vereinbarung über die Übermittlung von Daten im Rahmen der Arzneimittelabrechnung gemäß § 300 SGB V, anzuwenden seit 1. Juli 2019 [3] |
2 = Nichtverfügbarkeit eines Rabattarzneimittels 4 = Nichtverfügbarkeit eines Rabattarzneimittels und eines preisgünstigen Arzneimittels oder Nichtverfügbarkeit eines Rabattarzneimittels und Abweichung von der Importabgabe |
5 = Dringender Fall, wenn nur Rabattarzneimittel nicht vorrätig sind 6 = Dringender Fall, wenn Rabattarzneimittel und preisgünstige Arzneimittel oder Importe nicht vorrätig sind |
[1] Bundesministerium für Gesundheit. Verordnung über Abweichungen von den Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, des Apothekengesetzes, der Apothekenbetriebsordnung, der Arzneimittelpreisverordnung, des Betäubungsmittelgesetzes und der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung infolge der SARS-CoV-2-Epidemie. 2020. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/A/SARS-CoV-2-AMVersorgVO_Bgbl.PDF (letzter Zugriff am 17. März 2021).
[2] GKV-Spitzenverband, Deutscher Apothekerverband e.V. Vereinbarung zur technischen Umsetzung der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 20. April 2020. 2020. www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/arzneimittel/rahmenvertraege/apotheken/2020-04_22_Umsetzungsvereinbarung_SARS-CoV2-AMVersVO.pdf (letzter Zugriff am 17. März 2021).
[3] Technische Anlage 1 zur Vereinbarung über die Übermittlung von Daten im Rahmen der Arzneimittelabrechnung gemäß § 300 SGB V, Version 034. 2020. https://www.gkv-datenaustausch.de/media/dokumente/leistungserbringer_1/apotheken/technische_anlagen_aktuell/TA1_034_20200617.pdf (letzter Zugriff am 17. März 2021).