Die 17. Jahrestagung der Gesellschaft für Arzneimittelanwendungsforschung und Arzneimittelepidemiologie (GAA) fand am 25. und 26. November an der Universität Osnabrück statt. An zwei Tagen konnten sich die Teilnehmer über aktuelle Projekte und Entwicklungen auf dem Gebiet der Arzneimittelversorgungsforschung und Pharmakoepidemiologie im deutschsprachigen Raum informieren. In diesem Jahr standen unter anderem die Themenschwerpunkte Risiken bei Multimedikation, Arzneimittelberatung in der Apotheke sowie Anwendungsbeobachtung und Arzneimittelepidemiologie auf dem Programm.
Nach der Begrüßung durch Professor Dr. Sebastian Harder, dem Ersten Vorsitzenden der GAA, und Professor Dr. Katrin Janhsen, Tagungspräsidentin, begann die Tagung mit einem Einführungsreferat von Professor Dr. Gabriele Meyer (Department für Pflegewissenschaft, Universität Witten/ Herdecke) zum Thema "Arzneimittel in der Altenpflege". Insbesondere Psychopharmaka, und hier im Speziellen der Einsatz von trizyklischen Antidepressiva (TZA), Benzodiazepinen und Antipsychotika sei ihrer Meinung nach kritisch zu sehen. 22 Prozent der Patienten in Alten-/Pflegeheimen erhalten mindestens eine potenziell unangemessene Medikation. In weiteren Vorträgen zu dem Thema wurde erörtert, inwieweit Pflegekräfte, insbesondere in Zusammenarbeit mit Ärzten und Apothekern, zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit beitragen können.
In dem Themenschwerpunkt "Anwendungsbeobachtung und Arzneimittelepidemiologie" referierte Frank Meyer über die Datenbasis des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI). Anhand von Arzneimittel-Abrechnungsdaten aller Apothekenrechenzentren sowie ab dem Jahr 2011 auch anhand ärztlicher Diagnosedaten können umfangreiche Auswertungen zur Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten vorgenommen werden, die vor allem zur Pharmakotherapieberatung der Ärzte eingesetzt werden. Dr. Katrin Schüssel vom Deutschen Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) e. V., Eschborn, stellte eine Studie zu generischen Produktwechseln bei Patienten unter Therapie mit Valproinsäure vor. Nach Inkrafttreten der Rahmenvertragsänderungen zum 1. April 2008 nahm die Häufigkeit generischer Produktwechsel deutlich zu – auch bei Patienten, die schon längerfristig mit Valproinsäure vorbehandelt waren, oder die weitere Antiepileptika erhielten.
Weitere Themen beschäftigten sich mit Arzneimittel-induziertem Nierenversagen (Pharmakovigilanz-Zentum FAKOS, Berlin), mit der Einbindung von Spezialisten in die Verordnung von Methylphenidat/Atomoxetin zur Behandlung von ADHS (PMV Forschungsgruppe, Köln) und mit der Beurteilung der Verschreibungsqualität in Deutschland anhand der DU90-Methode (drug utilization; = Betrachtung der Wirkstoffe, die 90 Prozent des Verordnungsvolumens (bezogen auf die definierten Tagesdosen, DDD) des Arztes ausmachen).
Dr. Schädlich vom IGES stellte einen gesundheitsökonomischen Vergleich von Insulin glargin (GLA) vs. NPH-Insulin in der intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT) bei Typ-1-Diabetikern in Deutschland vor, der anhand eines "event simulation model" vorgenommen wurde. Danach würden nach diesem Modell rund 260 Euro durch die Verordnung von GLA statt NPH pro Patient und pro Jahr eingespart werden.
Dr. Puteanus, Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW, berichtete über den Öffentlichen Gesundheitsdienst in Nordrhein-Westfalen und dessen Kooperation mit öffentlichen Apotheken als Übersichtsreferat für den Themenschwerpunkt "Arzneimittelberatung in der Apotheke".
Dr. Oliver Schwalbe, Universität Bonn, stellte ein Modul zur Dokumentation von Interaktionen in öffentlichen Apotheken vor, welches von der Universität Bonn entwickelt wurde und derzeit in Kooperation mit neun LINDA-Apotheken getestet wird.
Professor Dr. Marion Schäfer von der Charité berichtete über eine Untersuchung zur Anwendung von Protonenpumpenhemmern in der Selbstmedikation. Mittels eines Fragebogens wurden Patienten zu Vorerkrankungen, Risikofaktoren und der Einnahme weiterer Medikamente sowie den letzten Arztkontakten befragt. Ziel der noch nicht abgeschlossenen Studie ist die Identifizierung von Risikopatienten beim Erwerb nicht verschreibungspflichtiger Protonenpumpenhemmer.
Über das in Kooperation mit der ABDA entwickelte Projekt zum häuslichen Medikationsmanagement bei multimorbiden Typ-2-Diabetikern referierte Herr Manfred Krüger (Linner-Apotheke, Krefeld). Ziel dieses Projektes war eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen Arzt, Apotheker und Patient (z. B. durch umfassende Medication Reviews der Apotheker) zur Verbesserung der Effektivität und Sicherheit der Arzneimittelversorgung des einzelnen Patienten. Es konnte gezeigt werden, dass Hypoglykämien seltener auftraten und das Wissen der Patienten über ihre Krankheit zunahm.
Im Themenschwerpunkt "Risiken bei Multimedikation" sprach Professor Dr. Petra Thürmann, Universität Witten/Herdecke, zur Arzneimitteltherapiesicherheit in Alten- und Pflegeheimen. In einer Studie mit 11 Pflegeheimen wurden zunächst arzneimittelbezogene Probleme und unerwünschte Arzneimittelwirkungen während einer Beobachtungsdauer von 30 Tagen erfasst. Die 30-Tages-Prävalenz für unerwünschte Arzneimittelwirkungen betrug 12.0 pro 100 Heimbewohner-Monate, wovon die meisten aus dem Bereich des Gastrointestinaltrakts stammten oder neurologische Symptome umfassten. Basierend auf dieser Datenerhebung wurde ein Konzept einer multidisziplinären Intervention unter Beteiligung von Pflegekräften, Ärzten und Apothekern entwickelt.
Dr. Stefanie Holt (Universität Witten/ Herdecke) berichtete über die Entwicklung der PRISCUS-Liste und die Prävalenz von potenziell unangemessener Medikation (potentially inappropriate medication, PIM) in zwei Kohorten älterer Menschen. In den beiden Kohorten erhielten 16 beziehungsweise 21 Prozent der Patienten mindestens eine PIM verordnet. Die Wahrscheinlichkeit, mindestens eine PIM zu erhalten, war höher bei Frauen im Vergleich zu Männern, bei Polypharmazie, häufigeren Arztkontakten und schlechterer Lebensqualität. Bei Vorhandensein einer PIM traten auch mehr unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf. Häufig eingesetzte PIM-Wirkstoffe umfassten Acetyldigoxin, Doxazosin, Sotalol, PiracetamundAmitriptylin.
Dr. Ingrid Schubert (PMV-Forschungsgruppe, Köln) hat die PIM-Prävalenz anhand von Sekundärdaten der AOK-Versichertenstichprobe Hessen ermittelt. Demnach erhielten 23,9 Prozent der Über-65- Jährigen mindestens eine PIM, davon Frauen (26,9 Prozent) häufiger als Männer (19,8 Prozent). Die Prävalenz stieg mit demAlter und war bei Patienten mit Pflegestufe höher (34,7 Prozent). Die wichtigsten Wirkstoffe umfassten Amitriptylin, Acetyldigoxin, Doxepin, Doxazosin und Benzodiazepine.
Neben den Vorträgen wurden auch zahlreiche Poster vorgestellt. Alle Abstracts sind elektronisch im Portal German Medical Science veröffentlicht.