(DAZ) Flexibilität durch Zielpreise
20.11.2009 - Dr. Thomas Müller-Bohn, Flexibilität durch Zielpreise. DAZ, Jahrgang 09 - Ausgabe 47 / 2009, Praxis.
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Rabattverträge belasten den Apothekenalltag mehr als andere Sparbemühungen und könnten langfristig die Bildung von Oligopolen auf dem Generikamarkt fördern. An diesen beiden zentralen Kritikpunkten setzt das Zielpreiskonzept der ABDA an. Dabei garantieren die Apotheker den Krankenversicherungen Zielpreise. So wären die Ein­sparungen sicher, aber die Apotheker hätten bei der Arzneimittelabgabe mehr Wahlmöglichkeiten. Das Konzept verspricht, die unerwünschten ­Effekte der Rabattverträge zu vermeiden.

Unter einem Zielpreis wird ein garantierter Durchschnittspreis für einen Wirkstoff in Abhängigkeit von der Packungsgröße, Konzentration und ggf. Darreichungsform verstanden. Solche Zielpreise könnten auf Bundesebene zwischen den Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband vereinbart werden, doch ist das Konzept auch auf anderer Ebene umsetzbar. In jedem Fall würden vertragliche Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Apothekerverbänden die Ausschreibungen erübrigen. Damit entfielen auch die juristischen Unwägbarkeiten und die großen Mühen für Ausschreibungen.

Wie die Rabattverträge betrifft auch das Zielpreiskonzept nur die Preisbildung innerhalb von Gruppen austauschbarer Arzneimittel. Die Festbeträge für solche Gruppen werden als gegeben hingenommen. Darin liegt ein großer Unterschied zum Erstattungspreis-Korridor-Modell des BAH, das auf einer anderen Ebene ansetzt und Preiskorridore aus den Nutzenrelationen zwischen nicht austauschbaren Arzneimitteln ableiten soll. Beim Zielpreiskonzept finden hingegen keine Vergleiche zwischen nicht austauschbaren Arzneimitteln statt. Daher wäre möglicherweise sogar eine Synthese zwischen diesen beiden Konzepten vorstellbar.

Zielpreisberechnung
Für das Zielpreiskonzept soll nach den Vorstellungen des Deutschen Apothekerverbandes das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) die Zielpreise errechnen. Dabei sollte der Zielpreis stets unter dem Festbetrag liegen, und es sollten mindestens fünf austauschbare Präparate unterhalb des Zielpreises verfügbar sein. Die Berechnungen des Deutschen Apothekerverbandes unterstellen einen Zielpreis, bei dem mindestens 25% der austauschbaren Produkte – berechnet nach dem Marktvolumen – unterhalb des Zielpreises liegen. Oder anders ausgedrückt: Der Zielpreis wird so festgesetzt, dass mindestens 25% des Marktvolumens unter dem Zielpreis gehandelt werden. Je nach Marktsituation können eher wenige umsatzstarke oder viele umsatzschwache Produkte am unteren Ende der Preisskala liegen. Durch die Vorgabe eines bestimmten Anteils am Marktvolumen ist sichergestellt, dass sich die Preisbildung nicht an Dumpingpreisen "exotischer", möglicher­weise kaum lieferfähiger Anbieter orientiert, sondern an realistischen Preisen.

Abgabe in der Apotheke
Wenn der Arzt eine Wirkstoffverordnung ausstellt oder die Substitution nicht ausschließt, kann der Apotheker bei diesem Konzept prinzipiell aus allen pharmazeutisch austauschbaren Präparaten auswählen. Zugleich garantiert er den Krankenkassen, den Zielpreis im Mittel einzuhalten. Die Auswahl zwischen den Präparaten, die auf oder unter dem Zielpreis liegen, ist dann problemlos. Es könnten in einzelnen Fällen auch teurere Präparate abgegeben werden, solange im Durchschnitt der Zielpreis nicht überschritten wird. Anderenfalls ginge dies zulasten der Apotheke. Die Ersparnis der Krankenkasse stünde dagegen schon vorher fest.

Dynamisches Konzept
Prinzipiell können Zielpreise nach diesem Konzept für alle Wirkstoffe ermittelt werden, für die der Gemeinsame Bundesausschuss eine Substitution vorsieht. Die Orientierung an Wirkstoffen macht das Konzept – im Vergleich zu Sortimentsverträgen – flexibel für Besonderheiten. Neue relevante Wirkstoffe können schnell integriert werden, um den Krankenkassen nach dem Markt­eintritt neuer Generika sofort zusätzliche Einsparungen zu bringen. Angesichts des dynamischen Generikamarktes ist dies ein beträchtlicher Vorteil gegenüber allen langwierigen bürokratischen Verfahren. Es können aber auch Wirkstoffe ausgeschlossen werden, deren Substitution aus pharmazeutischen Gründen problematisch ist, beispielsweise Opiate oder Substanzen mit sehr geringer therapeutischer Breite.

Großes Einsparvolumen
Der Deutsche Apothekerverband propagiert für ein solches Zielpreismodell jährliche Einsparungen der Krankenkassen von etwa 273 Mio. Euro, bezogen auf den Preisstand vom 15. April 2009 und ohne Berücksichtigung der Marktreaktionen. Dabei wurden Ausgabenreduktionen aufgrund bereits vorgenommener Preissenkungen bereits abgezogen. Pro Packung erwartet der Deutsche Apothekerverband durchschnittliche Einsparungen von 1,25 Euro. Für die 20 umsatzstärksten generisch verfügbaren Wirkstoffe werden Einsparungen von etwa 216 Mio. Euro erwartet. Da weitere Wirkstoffe relativ einfach in das Konzept integriert werden können, erscheinen langfristig höhere Einsparungen realistisch.

Geringere externe Kosten
Die Einsparungen dürften daher mit den Effekten der Rabattverträge mindestens vergleichbar sein, doch versprechen die Zielpreise diesen Erfolg mit wesentlich weniger unerwünschten Wirkungen – oder ökonomisch gesprochen: mit geringeren externen Kosten. Dies gilt für alle Beteiligten:

  • Die Krankenkassen würden Kosten für die Verwaltung und für rechtliche Streitigkeiten sparen und hätten anstelle vieler Hersteller den Deutschen Apothekerverband als einzigen Vertragspartner, der zugleich Dienstleistungen bei der Abrechnung übernimmt (die Berechnung der Festbeträge könnte das DAPI übernehmen, die Verwaltung wäre in den Abrechnungsprozess zu integrieren).
  • Die Apotheker würden in ihrer Kompetenz gestärkt, denn sie hätten einen angemessenen Spielraum für pharmazeutisch begründete Auswahlentscheidungen. Sie könnten ihr Warenlager reduzieren, und viele aufwendige Nachlieferungen würden sich erübrigen. Besonders preisgünstige Präparate würden sie bei der Akutversorgung und bei Medikationswechseln abgeben.
  • Die Patienten könnten schneller beliefert werden und würden möglichst die gewohnten Präparate erhalten. So wären Präparatewechsel mit den damit verbundenen mühsamen Erläuterungen überflüssig, und die Compliance wäre gesichert. Zudem könnten Patienten, die unbedingt ein besonders teures Generikum wünschen, dieses mit einer Aufzahlung erhalten. Die Aufzahlung ließe sich in das Konzept integrieren, ohne dessen Grundidee zu konterkarieren.

Volkswirtschaftliche Konsequenzen
Die geringeren externen Kosten stellen einen beträchtlichen volkswirtschaftlichen Vorteil gegenüber den Rabattverträgen dar. Außerdem dürfte der Generikamarkt langfristig profitieren. Denn bei Rabattverträgen kann es immer nur einen oder wenige Sieger unter den Herstellern geben. Dies begünstigt langfristig einen Trend zur Konzentration auf wenige Hersteller. Damit besteht die Gefahr der Oligopolbildung und letztlich wieder steigender Preise. Bei Zielpreisen wird dagegen kein Hersteller ausgeschlossen, denn hochpreisige Hersteller können ihre Preise senken.

Kritiker wenden dagegen ein, dass Zielpreise eine Abwärtsspirale der Preise in Gang setzen würden. Wenn einige Hersteller die Preise unter den Zielpreis senken, würde auch der Zielpreis sinken. Doch es besteht kein Anreiz, die Preise unter den Preis des billigsten Anbieters zu senken. Dies spricht eher gegen einen ruinösen Preiskampf. Zudem können sogar Anbieter mit Preisen über dem Zielpreis noch einige Umsätze erwarten, sofern dies im Schnitt durch billigere Anbieter auszugleichen ist.

Im Gegensatz zu Rabattverträgen wird bei den Zielpreisen kein Anbieter vom Markt ausgeschlossen. Damit würde die Herstellervielfalt erhalten bleiben. Dies wäre auch aus marktwirtschaftlicher Sicht ein Vorteil.