BERLIN (ks). Der AOK-Rabattvertrag mit elf Generikaherstellern bewegt derzeit die Apotheker - und selbstverständlich auch die Generika-Industrie selbst. Wir fragten Hermann Hofmann, Erster Geschäftsführer des Generikaverbands ProGenerika, wie er die Verträge einschätzt. Die meisten ProGenerika-Mitgliedsunternehmen haben sich ihnen verweigert - drei von ihnen sind jedoch Vertragspartner der AOKen geworden.
DAZ: Freuen Sie sich als ProGenerika-Chef mit Ihren Mitgliedsfirmen, die Vertragspartner der AOKen geworden sind? Oder betrübt es Sie, dass die Großen Ihres Verbandes nicht dabei sind?
Hofmann: Weder noch. Wir haben in Deutschland eine weiter ausbaufähige, aber im internationalen Vergleich beachtliche Generika-Quote. Die basiert auf dem großen Vertrauen der Patienten in Marken-Generika, also in die etablierten nationalen Hersteller. Das macht es für ausländische Konzerne schwer, hier Fuß zu fassen. Ihnen könnte sich über eine Ausschreibung und einen Vertrag à la AOK die Chance bieten, ihre Marktanteile zu steigern. Und das probieren einige dieser Unternehmen jetzt aus. Man darf aber nicht übersehen, dass es sich hier um einen Knebelvertrag handelt. Die mittleren und größeren Unternehmen hatten deshalb gute Gründe, sich auf dieses Projekt gar nicht erst einzulassen: Mit ihrem Rabatt müssen die AOK-Partner immer den jeweils günstigsten Preis unterbieten. Das kann zur Todesspirale werden. Außerdem bezieht sich der Rabatt auf den Apothekenverkaufspreis, also inklusive Handelsstufen plus Mehrwertsteuer. Und eine Mengengarantie für eine verlässliche Kalkulation gibt es auch nicht.
DAZ: Wie stehen Sie grundsätzlich zu Rabattverträgen zwischen Kassen und Herstellern?
Hofmann: Ordnungspolitisch gesehen ist der Ansatz richtig. Aber er wird nur halbherzig verfolgt. Entscheidendes Manko ist, dass auch nach der Gesundheitsreform die Krankenkassen nicht unter das Wettbewerbsrecht gestellt werden. Der Gesetzgeber mischt sich im Gesundheitswesen in alles Mögliche ein, selbst in die Preisbildung. Er versagt jedoch ausgerechnet bei der zentralen Aufgabe, die der Staat in einer Marktwirtschaft hat: eine Ordnung zu schaffen, die fairen Wettbewerb ermöglicht. Denn eigentlich hätte die AOK-Ausschreibung untersagt werden müssen. Es handelt sich hier eindeutig um ein Nachfragekartell. Darüber hinaus müsste sich der Gesetzgeber grundsätzlich entscheiden, was er eigentlich will: dezentrale Verhandlungslösungen zwischen Kassen und Herstellern oder zentrale Steuerung und Regulierung. Zurzeit haben wir einen Mischmasch aus beidem. Der Trend im Gesundheitsministerium scheint mir klar in Richtung Verhandlungen zu gehen. Dann aber bitte weg mit den staatlichen Eingriffen, weg mit Festbeträgen, Herstellerrabatten usw.
DAZ: Wie beurteilen Sie die Lieferfähigkeit der AOK-Vertragspartner? Eine Studie des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts (DAPI) zeigt, dass die Marktanteile der betreffenden Firmen sehr gering sind.
Hofmann: Das ist die spannende Frage und dürfte der heikle Punkt bei der ganzen Angelegenheit sein. Aufgrund der DAPI-Analyse müssen in allen deutschen Apotheken die Alarmglocken schrillen. Wer sich die AOK-Liste anschaut, stellt überrascht fest, dass die AOK ohnehin nur bei 43 von 89 ausgeschriebenen Wirkstoffen erfolgreich war. Das ist nicht einmal die Hälfte. Eine schwache Quote! Für 11 der 43 Wirkstoffe wurden nur zwei statt der geplanten drei Vertragspartner gefunden, für 17 sogar jeweils nur ein einziger. Das gilt selbst für einen so häufig verordneten Wirkstoff wie Omeprazol. Und zu den Vertragspartnern der AOK zählen nicht nur die Dependancen internationaler Konzerne. Da sind Kleinstfirmen darunter, die auch langjährigen Marktkennern völlig unbekannt sind. Das Unternehmen, das die AOK-Versicherten mit Omeprazol versorgen soll, hat derzeit mit diesem Wirkstoff einen GKV-Marktanteil von nicht einmal einem Prozent nach Umsatz und von 1,19 Prozent nach Packungen. Interessanterweise hat die AOK selbst die Lieferfähigkeit zu einem Kriterium gemacht. Der Vertreter der AOK Baden-Württemberg, die das Projekt federführend betreut, hat auf einer Veranstaltung leider die Antwort darauf verweigert, wie denn die Lieferfähigkeit der Kleinstunternehmen überprüft worden sei.
DAZ: Welche Risiken sehen Sie auf Apotheken zukommen?
Hofmann: Bei diesem AOK-Projekt trägt der Apotheker das größte Risiko neben den Patienten. Die Lagerhaltungskosten werden explodieren, und es wird trotzdem Ärger mit den Kunden geben. Der Apotheker befindet sich in einem Dilemma. Denn spätestens in der Apotheke merkt der AOK-Versicherte, dass sich etwas geändert hat. Dann muss der Apotheker dem Chroniker erklären, warum er nicht mehr das gewohnte bewährte Präparat bekommt, obwohl doch auch das sehr preisgünstig war; der Apotheker muss den Akut-Erkrankten um Verständnis bitten, dass er ein zweites Mal wird kommen müssen, weil das Präparat, dass sich seine Krankenkasse für ihn ausgesucht hat, gerade nicht vorrätig ist. Und weiter: Was passiert, wenn das Präparat nicht lieferfähig ist? Möglicherweise muss der Apotheker den Patienten in die Arztpraxis zurückschicken, damit dort das Präparat eines anderen Herstellers aufgeschrieben und gleichzeitig aut idem ausgeschlossen wird. Denn das gäbe dem Apotheker die Möglichkeit, ein vorrätiges Präparat abzugeben. Wie geht die AOK mit Apothekern um, die sich redlich, aber leider vergeblich bemüht haben, bestimmte Produkte von AOK-Vertragspartnern aufzutreiben? Wie zu hören ist, schürt die AOK bewusst die Angst unter den Apothekern. Sie würden "auf Null" retaxiert werden; es würden "Testkäufer" losgeschickt. Dagegen müssen sich die Apothekerverbände viel stärker zur Wehr setzen, v. a. was die Retaxierung angeht. Die AOK pfeift im dunklen Wald; sie fürchtet zu Recht, dass ihr die Versicherten in Scharen davonlaufen. Deshalb bedroht sie die Apotheker.
DAZ: Was halten sie von einem Zielpreismodell, das im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ebenfalls vorgesehen ist? Danach verpflichtet sich die Apotheke, Generika so auszuwählen, dass der Preis einem zwischen Apothekerverband und Kasse verhandelten Zielpreis entspricht.
Hofmann: Wir haben mit großer Sympathie das LIPS-Modell des LAV in Schleswig-Holstein verfolgt, weil wir glauben, dass auf diesem Weg das Einsparpotenzial im generikafähigen Markt realisiert und die Generika-Quote deutlich gesteigert werden kann. Das Problem für uns ist, dass das Zielpreismodell zwar im Gesetz steht, aber da stehen eben auch andere Modelle drin. Und Vorrang haben im Moment Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern. Darauf konzentriert sich alles, und das Zielpreismodell gerät etwas aus dem Blick. Das ist schade. Es wäre wichtig, wenn dieses Modell wenigstens regional erprobt werden würde.
DAZ: Was halten Sie von der Beteiligung der Ärzte an den Einsparungen des AOK-Vertrages, wie sie in Baden-Württemberg ausgehandelt wurde?
Hofmann: Es ist schon sehr erstaunlich, dass es darüber keine kontroverse Diskussion in der Ärzteschaft gibt. Die Bundesärztekammer hatte sich in die Diskussion um die Bonus-Malus-Regelung lautstark mit dem Argument eingeschaltet, es sei unethisch, einen Bonus zu kassieren. Mittlerweile gibt es zwar Stimmen, die in Sachen AOK von einer "Verleitung zur Korruption" sprechen. Aber die kommen von Patientenverbänden und nicht aus der Ärzteschaft.
DAZ: Wir danken Ihnen für das Gespräch.